Treberwurst

Treberwurst? … die Schnapsidee am Bielersee

Ein Gericht an dem sich die Meinungen kulinarischer Geister scheiden.

Man mag sie halt, oder eben nicht. Und sie hat in Zeiten von Vegetarisch und Vegan und ihrer Hochzeit von Januar bis März, nach den Völlereien der Festtage einen schweren Stand. Sollte man meinen!

Das Gegenteil ist der Fall. Die Reservationsbücher und -listen der Carnotzets und Restaurants der Bielersee-Region, die das Gericht ihren Gästen anbieten, sind in aller Regel zu Jahresbeginn schon weitgehend gefüllt.

Nach dem Treberwurstessen ist vor dem Treberwurstessen!
Viele zufriedene Gäste reservieren beim Verlassen des Lokals vorsichtshalber gleich für das kommende Jahr ihren bevorzugten Abend.

Inhaltsverzeichnis

1. Ursprünge
2. Entwicklung vom Freundes- zum Insidertreff
3. Kommerzialisierung
4. Quellen, Anmerkungen


Ursprünge

Die Winterarbeit der Winzer im Weinberg war und ist auch heute noch hart! Dazu kommt die Pflege des jungen Weins vom Vorjahr im kalten Keller. Das rief nach einer warmen Zwischenmahlzeit, die ohne Zusatzaufwand zuzubereiten wäre.
Also kam irgendwann einer auf die Idee die Pausenwurst gleich auf dem Treber in der Brennerei zu wärmen, wo in der gleichen Periode in den lokalen Brennereien der Treber der Weinzubereitung vom Vorjahr zu Marc und das Hefedepot der Fässer zu Drusen/Lie gebrannt wurde.

Anstatt ihre Frauen mit dem Bereiten der Zwischenmahlzeit zusätzlich zu belasten, ginge das mit dem Brennen doch in einem Aufwisch.
Gesagt getan, wurde fürderhin die währschafte Kost mit einem guten Brot in der warmen Brennerei verzehrt … und dürfte auch schon damals von einem Produkt der Brennerei begleitet worden sein.
Das war vor den 1920ern, ein genaues Datum ist nicht bekannt, respektive belegt. Genannt wird auch eine Entstehung um 1870.

Entwicklung vom Freundes- zum Insidertreff

So dürfte sich dann die Zwischenmahlzeit irgendwann zum gemütlichen Zusammensitzen mit Mitarbeitern, Helferinnen und Freunden nach getaner Arbeit entwickelt haben. Zum Zusammensein traf man sich im Weinkeller eines der Mitstreiter.

Ende der 1970er-, anfangs der 1980er-Jahre begannen einige Winzer solche Zusammenkünfte um Freunde von ausserhalb der Winzergemeinschaft zu erweitern – ab da natürlich gegen Bezahlung. In kleinen Gruppen sass man am Tisch direkt im Weinkeller zwischen den Weinfässern und konnte begleitend zum Treberwurstessen neben den marktreifen Jahrgängen auch den jungen Wein aus den im Rücken lagernden Fässern verkosten. Bei diesem Wein ist die Vergärung schon abgeschlossen, die Trübstoffe (Hefe) schweben aber noch im Wein.[1]
Vom Weinkeller zur Brennerei Ruff waren es über die Dorfgasse ein paar Schritte und es war ein besonderer Moment, wenn der Deckel der Brennblase abgehoben wurde (alte Bauweise), den ersten Duft von Marc und Wurst am «Tatort» tief einzuatmen.

In solch kleinen Runden dabei sein zu dürfen war ein Privileg, das Treberwurstessen war ein Insidertreffen, zu dem sich immer auch der Weinbauer gesellte mit dem man über seine Arbeit und Produkte «fachsimpeln» konnte.
Hin- und Heimfahrt erfolgten oft noch mit dem eigenen Auto, unter heutigen Umständen kaum mehr denkbar. Auf der Rückfahrt hatte man in der Regel gleich noch etwas zur Bestückung des eigenen Weinkellers im Fahrzeug, vielleicht auch noch eine Flasche Hochprozentigen.

Kommerzialisierung

Mit der Zeit wurden die Gruppen grösser und zahlreicher. Dies tat der Entwicklung des Weins in den Fässern nicht gut: zu starke Temperaturschwankungen und zu hohe Luftfeuchtigkeit.
Bei «unserem» Winzer hatte das zur Folge, dass er eine Mauer vom Weinkeller zum davorliegenden Carnotzet durchbrach und man ab dann in diesem Carnotzet sass, durch eine Tür vom Weinkeller getrennt.

Und dann gab es eine unerfreuliche Entwicklung: auf einmal sass man zum Essen in einem kalten Korridor, mit einem hoch angesetzten Heizstrahler im Rücken. Und als Krönung wurden im Folgejahr am selben Abend zwei Schichten «abgespeist». Die Kommerzialisierung wurde mit beschränkten Mitteln auf die Spitze getrieben.

Doch die Winzer lernten, auch weil die Zahl der Anbieter zunahm und Treberwurst auch in den lokalen und regionalen Restaurants als Menu angeboten wurde. Das Produkt wurde weiter stark kommerzialisiert, nun aber unter professionelleren Bedingungen.
Zwar musste man sich nun zum Essen nicht mehr winterlich warm anziehen, die Carnotzets wurden angenehm temperiert. Allerdings hatte das Ganze nun den Charme des Ursprünglichen und Exklusiven verloren.

Wie man weiss, eroberte die Treberwurst mittlerweile viele Weinanbaugebiete. Und zu den ursprünglichen Anbietern reisen die Gäste heute aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland an. Die Vermarktung der Treberwurst ist zu einem winterlichen Zusatzstandbein für die Weinbauern und ihre Familien geworden.

Die Krönung ist aber nach wie vor, diese Köstlichkeit mit Freunden im Lokal eines Winzers oder Brenners am Bielersee zu geniessen und von der Familie und ihren Helferinnen bedient zu werden.


Quellen, Anmerkungen

1 Dieser noch trübe, aber schon vergorene Wein (Chasselas) wird seit Mitte der 1970er-Jahre von Neuenburger Weinbauern als Neuchâtel Non Filtré vermarktet. Die Weinflaschen sollten vor dem Öffnen auf den Kopf gestellt werden, um die abgesetzte Hefe wieder in Schwebe zu bringen.