Erschiessung auf dem Todesmarsch …

… unter den Augen eines neunjährigen Jungen

Ein Monat vor Kriegsende

Mahnmal Bunker ValentinAm 9. April 1945 begann der Evakuierungsmarsch der Insassen des KZ Bahrsplate – einem Aussenlager des KZ Neuengamme – in Blumenthal, einem Vorort von Bremen. Die Zwangsarbeiter dieses Lagers waren für Arbeiten in der Marinerüstung eingesetzt worden – zum Beispiel beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin in Rekum – und sollten nun wegen der von den Niederlanden her vorrückenden Briten nach Nordosten evakuiert werden.
Kein Gefangener sollte lebend in die Hände der Alliierten gelangen, weshalb diese aus allen Lagern in den besetzten Gebieten und dem Reichsgebiet vor der Sicherheit der Alliierten weggebracht wurden. Da während solcher Märsche tausende Gefangene unter erbärmlichen Umständen zu Tode kamen, erhielten diese die Bezeichnung Todesmarsch.

Die Evakuierung dieser Gefangenen führte Richtung Bremervörde. Zu dieser Zeit lebte der neunjährige Johann Dücker auf dem elterlichen Hof an der Bremerhavener Strasse (B 71) zwischen Volkmarst und Basdahl. Ein Teil der KZ-Häftlinge nächtigte in einer naheliegenden Scheune. Die Kinder brachten den Vorbeiziehenden auf Anregung von Mutter Dücker Wasser in Eimern an die Strasse. Dies wurde ihnen von den Wachmannschaften verboten mit dem Argument, es würde Chaos unter den Häftlingen auslösen – die Eimer wurden ausgekippt.

Gedenkstein und SitzplatzIn Basdahl hatten sich zwei Gefangene von der Marschkolonne abgesetzt und waren in westlicher Richtung geflohen. Durch einen Einwohner auf die Fluchtrichtung aufmerksam gemacht, verfolgten mehrere Soldaten die beiden bis zum Dücker-Hof. Der eine wurde aus der Ferne erschossen, der andere konnte sich vorerst in einem Gebüsch verstecken. Auch er wurde jedoch aufgespürt und mit dem Gewehrlauf im Rücken zu dem ersten Toten geführt. Dort wurde er unter den Augen der anwesenden drei Kinder[1] mit einem Genickschuss ermordet.

Später wollten die Soldaten die beiden im Acker an der Stelle ihrer Hinrichtung vergraben. Auf den Einspruch von Johanns Vater, er könne nicht seinen Acker bestellen mit dem Wissen, dass dort Tote begraben seien, wurde ihm geantwortet: «Wieso? Sie pflügen doch sonst auch Mist unter!».
Trotzdem wurden die beiden Opfer dann am Feldrand begraben. Ihre Herkunft und Namen blieben unbekannt.

GedenksteinDas Trauma dieses Erlebnisses begleitet Johann Dücker bis heute (2021). Gemeinsam mit der Kriegsgräberfürsorge wurde 2004 eine Suche nach den zwei Begrabenen gestartet. Infolge der langen seither vergangenen Zeit und der verblassten Erinnerung der genauen Örtlichkeit leider erfolglos. Nach Überlegungen mit dem Volksbund (VdK) entschloss sich Familie Dücker neben dem Radweg an der Strasse auf ihrem Grundstück einen Gedenkstein für die zwei Unbekannten zu errichten. Damit wollten sie die Erinnerung an diese Morde und die mit ihrem Hof verbundene Geschichte wachhalten.

Neben dem Gedenkstein steht eine Bank, auf dem sich Besucher ausruhen und dem Gedenken an diese zwei unglücklichen Menschen hingeben können.

Katharine und Johann DückerIm Juni 2021 hat mir Johann Dücker vor Ort seine bewegende Geschichte erzählt. Anhand solcher Einzelschicksale bekommt der millionenfache Mord des NS-Regimes ein Gesicht und lässt sich eher fassen. Was oft unterschlagen wird zeigt aber diese Geschichte auch, nämlich dass es die nichts ahnenden und guten Leute in dieser grausamen Epoche trotz allem sehr wohl gab!
Johann Dücker wies in einem prägnanten Satz scharfsinnig auf das Nachhallen dieses verbrecherischen Regimes bis heute hin: «Hätten die Juden bleiben können, würde es heute das Pulverfass Israel nicht geben.»

Seit Johann Dücker in Rente ist, lebt er gemeinsam mit seiner Frau Katharine in einem kleinen Häuschen neben dem Hof, den schon sein Vater und später das Paar Dücker gemeinsam bewirtschafteten.


1 Johann Dücker, seine ein Jahr jüngere Schwester Käthe und der gleichaltrige Flüchtlingsjunge Kurt Rimkus aus Ostpreussen, der seit März 1945 bei der Familie Dücker wohnte.