Fieseler Fi 103 – V1

Entwicklung, Erprobung und Ausbildung

Einstieg

Auf dieser Seite werden die Aktivitäten von der Entwicklung über die Erprobung bis zur Ausbildung des Bedienungspersonals und deren Standorte beschrieben.

Inhaltsverzeichnis

1. Entwicklung
1.1. Zelle
1.2. Triebwerk
1.3. Regeleinrichtungen
1.4. Sprengladung und Zünderanlage
1.5. Optionale Einrichtungen
1.6. Starteinrichtung
2. Erprobung in Peenemünde-West
3. Erprobung und Ausbildung in Zempin
3.1. Transportübung
4. Ausbildung in Brüsterort
5. Erprobung Luftstarts ab Trägerflugzeug
6. Scharferprobung in Blizna (Polen)
7. Erprobung in der Aussenstelle Altenwalde
8. Aussenstelle im Flögelner Stüh, zwei Startstellen
9. Fi 103 Nachfolger bei den Alliierten


Entwicklung

Wie kam es zur Entwicklung der Flugbombe?

Zwar hatten hochrangige Militärs in den 1930er-Jahren eine Entwicklung von strategischen Bombern gefordert und mit der viermotorigen Heinkel He 177 wurde ein solcher auch entwickelt und gebaut. Das Schwergewicht der deutschen Flugzeugproduktion lag jedoch auf taktischen Kampfflugzeugen und Bombern. Dazu kam, dass die He 177 trotz eines innovativen Konzepts zu Beginn markante Konstruktionsschwächen aufwies.

Ebenfalls waren schon vor Kriegsbeginn Pläne für unbemannte Flugkörper die eine hohe Nutzlast 500 km weit tragen sollten, an das Reichsluftfahrtministerium (RLM) herangetragen worden. Dieses zeigte jedoch wenig Interesse an den Plänen.

Als die Luftschlacht um England 1941 verloren war und alliierte Bomber wirkungsvoll deutsche Ziele anzugreifen begannen, entsann man sich im RLM schmerzlich der angetragenen Vorkriegspläne für eine Flugbombe.
Am 19. Juni 1942 erteilte Staatssekretär Erhard Milch im RLM schliesslich den Befehl zum Bau einer unbemannten Flugbombe.

Im Gegensatz zum A4, das ein Entwicklungsprojekt des Heeres war und komplett in der Heeresversuchsanstalt (HVA) Peenemünde erarbeitet wurde, war die Fi 103 ein Entwicklungsprojekt der Luftfahrtindustrie. Im Wesentlichen wurde in Peenemünde-West erst deren Erprobung durchgeführt. Allerdings hatten die beteiligten Firmen auf dem Erprobungsgelände eigene Büros und Werkstätten, in denen Gerät, Triebwerk und die notwendige Infrastruktur wie Startrampe, Dampferzeuger, Anlassgerät usw. noch weiterentwickelt wurden.

Zelle

Entwickelt wurde die Zelle durch die Gruppe um Robert Lusser in den Gerhard-Fieseler-Werken GmbH in Kassel-Bettenhausen. Diese Gruppe war auch verantwortlich für das Gesamtprojekt.

Über die erste Version gibt es wenig gesicherte Informationen. Ein Report der Alliierten mit dem Titel «Report on the flying bomb» beschreibt das Gerät mit trapezoidalen Flügeln und einer kurzen, kegelförmigen Nase – weshalb diese Version mit «Short Nose» bezeichnet wurde.
Im August 1943 stürzte eines dieser Geräte auf Bornholm ab und wurde von einem dänischen Offizier heimlich fotografiert und skizziert (siehe auch Michel Hollard). Diese Unterlagen gelangten zu den Briten, womit man dort erstmals Informationen über diese Neuentwicklung erhielt.

Schon vor dem ersten Schleuderstart machte man in Peenemünde antriebslose Zellenflugversuche an Trägerflugzeugen. Eingesetzt wurden dazu Flugzeuge des Typs Heinkel He 111 und Focke Wulf Fw 200.
Zuerst wurden antriebslose Abwürfe von Fi 103-Zellen durchgeführt. Diese Versuch begannen am 28. Oktober 1942. Weitere Details dazu in den Abschnitten Triebwerk und Erprobung Luftstarts ab Trägerflugzeug.

Am 24. Dezember 1942 erfolgte dann der erste Bodenstart ab der Borsig-Schleuder auf dem Schussplatz am Peenemünder Haken.

Versionen

Die Version A1 war die Ausführung die in Grossserie gebaut und die auch während ihres Einsatzes noch ständig weiterentwickelt wurde. Das Tankvolumen für das Flugbenzin betrug 690 l, die Sprengladung 830 kg Amatol, die Reichweite 235 km.

Version B1 war weitgehend identisch zu A1, hatte aber für die Rumpfsektionen B und C eine Holzverkleidung.
Die Version B2 war identisch zu B1, aber für eine Sprengladung aus Trialen anstelle von Amatol ausgelegt. Diese Zellen waren mit einem grossen roten X beidseitig des Lastraums markiert.

Die Versionen C1 und D1 waren Versuchsversionen, um erstens eine Standard-Fliegerbombe aufzunehmen und zweitens eine chemische Ladung. Über beide Versionen gibt es wenig gesicherte Informationen.

Von Bedeutung waren hingegen die reichweitengesteigerten Versionen E1 und F1.
E1 entsprach weitgehend der Version B1, hatte aber ein um 120 l grösseres Tankvolumen. Rumpflänge und Sprengladung blieben gleich, einzig die Sektion A (Bugspitze) wurde etwas verkürzt. Mit höheroktanigem Treibstoff konnte dadurch die Reichweite auf 375 km und die Geschwindigkeit auf bis zu 770 km/h gesteigert werden. Ab September 1944 fanden im Rahmen der «Operation Pappdeckel» mit dieser Version Einsätze ab Stellungen in Rotterdam statt. Damit gelangte London wieder in Reichweite der V1.
F1 hatte eine identische Gesamtlänge, bei dieser Version wurde aber das Tankvolumen zulasten der Explosivladung erhöht. Der Tank beinhaltete nun 1'025 l, die Sprengladung bestand aus 530 kg Trialen. Damit wurde eine Reichweite von bis zu 450 km erzielt.

Triebwerk

Das Verpuffungsstrahltriebwerk As 014 (RLM-Bezeichnung 109-014) war eine Entwicklung der Gruppe um Fritz Gosslau bei der Argus Motoren Gesellschaft m. b. H., basierend auf Ideen und Entwicklungen die schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrunderts begannen.
Schon 1930 hatte jedoch der Erfinder Paul Schmidt ein Pulsrohr gebaut, das Argus als Grundlage ihrer Entwicklung diente.
Kriegsbedingt wurden die beiden Parteien zu einer Zusammenarbeit unter Federführung von Argus gezwungen, der Patentstreit dauerte jedoch bis zum April 1945. Eine Konsequenz daraus war, dass das Triebwerk künftig mit Argus-Schmidt-Rohr bezeichnet werden musste.

Durchmesser und Länge der einzelnen Abschnitte waren einerseits genau auf den zu erzielenden Resonanzeffekt des Pulsrohrs abgestimmt, andererseits – gemeinsam mit dessen Positionierung am Flugkörper – darauf, dass der Effekt des Triebwerks einen möglichst kleinen Einfluss auf die Steuerelemente der Bombe hatte. Bei den Prototypen hatte dies zu etlichen Problemen geführt.

Kernstück dieses Triebwerks war das Klappenregister, das einzige Bauteil des Antriebs mit beweglichen Elementen. Gebaut wurde es von der Firma Apparatebau GmbH, Berlin (Code ngk), die Aluminium-Druckgussteile dazu stellte die Firma Mößner & Turner, München (Code kvn) her.

Nach Standtests auf dem Gelände der Firma Argus in Berlin, bei dem das Triebwerk vertikal aufgebaut war, ging man dazu über, das Pulsrohr in Peenemünde an Flugzeugen zu testen. Für erste statische Versuche wurde ein Triebwerk unter dem Rumpf einer Gotha Go 145 A montiert und so an dem am Boden gefesselten und hinten aufgebockten Flugzeug in Betrieb genommen. Am 28. April 1941 erfolgte der erste Flug mit Schubunterstützung des Pulsrohrs mit dem selben Flugzeug (D-IIWS). Dazu konnte das hintere Ende des Rohrs im Flug abgesenkt und für die Landung wieder an den Rumpf hochgezogen werden.

Der erste Flug mit reinem Pulsrohrantrieb erfolgte im Sommer 1941, für welchen unter den Flügeln eines Gleiters DFS 230 A-1 zwei Triebwerke angebaut wurden. Dieser Test erfolgte auf dem Flughafen Reichenhall-Berchtesgaden bei Ainring-Mitterfelden in Österreich, wo die DFS (Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug) angesiedelt war.

Für Versuche bei höherer Geschwindigkeit wurde das Pulsrohr unter einer Messerschmitt Bf 110 C montiert. Dabei wurden so starke Vibrationen erzeugt, dass das Trägerflugzeug beschädigt wurde. Für weitere Versuche montierte man deshalb das Pulsrohr auf dem Rücken einer anderen Bf 110 am Ende des Rumpfs.

Weitere Versuche erfolgten dann im Verbund mit der Zelle und sind in den entsprechenden Abschnitten beschrieben.

Spekulation um das As 044?

Zu dem gegen Kriegsende sich noch im Entwicklungsstadium befindlichen Triebwerk As 044 gibt es kaum gesicherte Angaben, dafür umso mehr Halbwahrheiten.
Es handelte sich um eine leistungsstärkere Version mit modifiziertem Aufbau, anders dimensioniertem Pulsrohr, 4 × 3 Einspritzdüsen und kastenförmigem Lufteinlass, die für andere Projekte wie die Junkers EF 126 oder die Heinkel He 162 A-11 vorgesehen war. Dass diese Version noch für die Fi 103 zum Einsatz kam oder kommen sollte, ist weder belegt noch wahrscheinlich.

Als Beleg für den Einsatz an der V1 wird gerne der kastenförmige Einlass herangezogen, der angeblich an dieser Aufnahme einer Reichenberg zu sehen sein soll. Dabei handelt es sich jedoch klar um ein Triebwerk As 014, an dem einfach die kompletten Frontelemente des Triebwerks fehlen und die das blanke Schubrohr (auch ohne vordere Triebwerksstütze) zeigen.

Regeleinrichtungen

Das Flugleit- und Regelsystem wurde durch die Askania Werke AG in Berlin entwickelt und gebaut – Askania hatte schon seit den 1920er-Jahren an Autopilot-Systemen für Flugzeuge gearbeitet.

Dies beinhaltete den im Bug (Sektion B) eingebauten Magnetkompass, der die pneumatischen Signale des Kompasses via eines elektropneumatischen Wandlers an das Steuergerät lieferte sowie das Steuergerät selbst.

Das Steuergerät wiederum übertrug die empfangenen elektrischen Signale als Luftdruckveränderungen an die Rudermaschinen. Diese waren über Gestänge mit dem Höhen- resp. Seitenruder verbunden.

Eine weitere komplexe Regeleinrichtung betraf die Treibstoffzufuhr. Diese musste in Abhängigkeit von Start- und Flughöhe, sowie den Flugphasen geregelt werden können. Dieser Sonderregler wurde von der Pallas Apparate GmbH in Berlin entwickelt und von drei Firmen gebaut.

Ausser dem Kompass und dem Wandler sind alle regeltechnischen Komponenten in der Rumpfsektion E (Heck) untergebracht.

Luftlog und Zählwerk

Wichtige Funktionen hatten Luftlog und Zählwerk. Das an der Bugspitze sitzende Luftlog ist ein von einer kleinen Luftschraube bewegtes Schneckengetriebe, das als Signalgeber für das Zählwerk diente und so nach bestimmten Flugstrecken verschiedene Aktivitäten auslöste. Bis zum Verlassen der Schleuder war der Stromkreis noch durch den Stift auf dem Schlitten unterbrochen, damit Wind am Startort die Messung nicht verfälschen konnte.

Das Zählwerk wurde vor dem Start auf die gewünschte Flugdistanz eingestellt und es zählte dann während des Flugs herunter auf Null.
Eine erste Funktion des Zählwerks war das Schliessen des Stromkreises für den elektrischen Aufschlagzünder nach 60 km; dann das Einschalten des Senders FuG 23 etwa 50 km vor dem Abstieg (sofern das Gerät damit ausgerüstet war) und zuletzt das Zünden der Explosivladungen im Abstiegmechanismus bei Erreichen der eingestellten Flugdistanz.

Kontaktlaufwerk für Winkelschuss

Um mit der Flugrichtung der V1 unabhängiger von der Ausrichtung des Katapults zu sein, entwickelte man noch eine Möglichkeit, den Kurs des Geräts zu ändern. Dazu konnte nach dem Start das Seitenruder während einer definierten Zeit nach links oder rechts ausgelenkt und damit  eine Kursänderung von bis zu ±60° erreicht werden.

Realisiert wurde dies mittels des Kontaktlaufwerks, das auf dem Steuergerät angebracht wurde. Eingestellt werden konnte eine Vorlaufzeit, während der nach dem Start das Gerät im geraden Steigflug flog. Nach Ablauf dieser Vorlaufzeit aktivierte sich eine zweite einstellbare Zeit, während der das Seitenruder betätigt wurde. Nach Ablauf dieser Uhr übernahm wieder die Kompassregelung die Kursverfolgung.

Die Geschichte vom verstummenden Triebwerk

In Literatur wie im Netz kursiert die Aussage, dass über dem Zielraum das markante Brummen des FZG 76-Antriebs verstummte und damit den Absturz und bevorstehenden Einschlag der Bombe ankündigte. Das mag bei der einen oder anderen anfliegenden Bombe der Fall gewesen sein, die Regel war es nicht – aber es konnte durchaus vom Boden her so wahrgenommen werden. Folgende Fakten sprechen gegen diese Halbwahrheit:

  1. Das Triebwerk hatte keine Abstellvorrichtung für die Treibstoffzufuhr.
  2. Ein Abstellen des Triebwerks durch Aushungern mangels Treibstoff um den Abstieg einzuleiten, wäre viel zu ungenau gewesen. Zwar wurde die Treibstoffmenge für jede Strecke und die aktuellen Windverhältnisse berechnet und nicht mehr als notwendig eingefüllt – jedoch beinhaltete dies immer eine Sicherheitsmarge.

Wie also wurde ein mehr oder weniger genau lokalisiertes Absteigen der Bombe bewerkstelligt? Dazu war ein ausgeklügelter Abstiegmechanismus entwickelt worden. Dieser sass am Höhenleitwerk im Rumpfbereich, wo auch die beiden Rudermaschinen installiert waren.
Hatte das Zählwerk Null erreicht, wurde durch zwei Explosivladungen ein Sperrkeil entfernt, was eine Zugfeder aktivierte. Ein Kipphebel blockierte das Höhenruder in neutraler Position, gab die beiden Störklappen unter dem Höhenleitwerk frei und aktivierte eine Art Guillotine, die die zwei Differenzdruckleitungen zum Servomotor der Seitenrudermaschine unterbrach und damit das Seitenruder ebenfalls in Neutralstellung blockierte.
Durch die abgesenkte Nase und die Spiralsturzbewegung wurde der verbleibende Kraftstoff im Tank nach vorne aussen gedrückt … bis auf die kleine Menge im mittleren Bodenbereich. Diese liess das Triebwerk noch einen kurzen Moment arbeiten.

Fazit: Nicht das stillstehende Triebwerk brachte das Gerät zum «Absturz», sondern der gezielt eingeleitete Abstieg brachte das Triebwerk zum Stillstand!

Hinweis: Weitere Bilder mit Beschreibungen von Einzelheiten der Fi 103 gibt es in dem Artikel über das Gerät mit der Serie-Nr. 114635 im – leider nicht mehr existierenden – Musée de Tosny.

Regeleinrichtung am Boden

Zu den Regeleinrichtungen ist auch das Richthaus zu zählen. In diesem wurde ja vor dem Start des Geräts das Funktionieren des Kompasses und der Steuerung überprüft und entsprechend des zu fliegenden Kurses eingeregelt.

Zu diesem Zweck wurde das Gerät an einem Seilzug aufgehängt und mittels eines Zentrierstücks (Untere Führung) präzise im Zentrum einer Winkelskala aufgesetzt. Nun konnte das Gerät an dieser Skala um definierte Werte gedreht und so überprüft werden, ob der Kompass und die Steuerungskorrektur richtig funktionierten.

Diesem Überprüfung- und Einstellprozess ging ein etwas abstrus wirkendes Prozedere voran: der Rumpf wurde mit Holzhämmern beklopft.
Der Rumpf hatte mit seinen Eisenteilen einen gewissen Eigenmagnetismus, der sich durch die Triebwerksvibrationen während des Flugs verändern würde. Eine Kompensation wie bei Flugzeugkompassen war deshalb nicht möglich. Somit wurde versucht, durch dieses Beklopfen den Eigenmagnetismus so weit wie möglich zu reduzieren. 

Sprengladung und Zünderanlage

Die Sprengladung war in einer separaten Rumpfsektion (C) eingebaut und bestand bei der Standardversion A1 aus 830 kg Amatol.
Ab den Fertigungs-Standorten wurde die Fi 103 ohne den Lastraum bis in eine Muna (Munitionsanstalt) oder Versorgungsstelle geliefert. Dazu war der Bug mittels eines Adapters direkt auf die Sektion D montiert. Erst vor dem Transport zu den Einsatzstellen wurde der Lastraum in das Gerät eingebaut.

Der Lastraum mit der Sprengladung und der Zünderanlage durchlief einen separaten Fertigung- und Laborierprozess. Der zum Einbau bereite Lastraum wurde in einer speziellen Vorrichtung transportiert, die ein Umladen in vertikaler wie horizontaler Lage erlaubte und in dieser Vorrichtung auch gerollt werden konnte.

Die Zünderanlage bestand aus insgesamt drei Zündern:
· dem elektrischen Aufschlagzünder EL AZ 106
· einem mechanischen Aufschlagzünder Z 80 A
· sowie einem mechanischen Langzeitzünder Z 17 B

Der elektrische Aufschlagzünder war auf der Vorderseite zentral in die Sprengladung eingebaut und parallel an den Aufschlag- und den Gleitschalter angeschlossen.
Die beiden mechanischen Zünder sassen in seitlich angeordneten Einschrauböffnungen und wurden erst kurz vor dem Start der Flugbombe eingesetzt.
Alle drei Zünder wirkten auf Übertragungsladungen, diese wiederum auf die eigentliche Sprengladung.

Die beiden elektrischen Schalter der Zünderanlage (elektrisches Aggregat) wurden aus Sicherheitsgründen erst nach etwa 60 km Flugstrecke durch die erste Funktion des Zählwerks aktiviert.

Der Aufschlagschalter selbst hatte zwei Kontaktmöglichkeiten: einen Schliesser im Kopf des Schalters und einen zweiten im Mittelteil, der durch Stauchen des geschlitzten Rohrs gegen den zentralen Bolzen wirkte.
Im elektrischen Aufschlagzünder EL AZ 106 selbst gab es noch zwei Auslöse-Sicherheiten: einen Wärmeschalter, der nach Einschalten des Stromkreises durch das Zählwerk mittels einer kleinen Explosivladung den Stromkreis im Zünder freigab und einen Beschleunigungsschalter (150g), der sich durch den Stoss des Aufschlags schloss, falls Aufschlag- und Gleitschalter nicht wirken würden.

Die beiden mechanischen Zünder blieben auch auf der Rampe bis zum Start mit Stiften gesichert. Die Sicherungsstifte waren mit Reissleinen mit dem Anlassgerät verbunden → siehe Detail beim Zünder Z 80 A. Die Sicherungsstifte wurden somit direkt beim Start der Flugbombe gezogen.

Optionale Einrichtungen

Um die Distanzeinstellung der Flugbombe und damit den Einschlagort überprüfen zu können, wurden einzelne Fi 103 mit einem Funkgerät FuG 23 ausgestattet. Dieses Funkgerät konnte mittels des Zählwerks etwa 50 km vor Erreichen des Abstiegs aktiviert werden. Gleichzeitig wurde eine Antenne ausgezogen, die aufgewickelt im Legerohr am Rumpfende steckte.

Das Funkgerät sass im Geräteraum, seine Aktivierung erfolgte über die zweite Funktion des Zählwerks. Diese Funktion löste auch elektrisch die Sperre des Legerohrs aus. Eine Scheibe am Ende derselben zog dann die Antenne aus dem Rohr.

107 cm und 145 cm lange Varianten des Legerohrs ermöglichten, mitgeführte Flugblätter über dem Zielgebiet auszustossen.
Dies konnten entweder sechs Rollen DIN A5 (750 Blätter) oder drei Rollen DIN A4 (375 Blätter) sein, jede Rolle zwischen zwei Scheiben verbunden durch eine Metallachse gehalten.

Starteinrichtung

Um die Fi 103 zu starten, wurde systembedingt ein Startkatapult benötigt, welches die Flugbombe auf eine Initialgeschwindigkeit von mindestens 240 km/h beschleunigte, damit das Verpuffungsstrahltriebwerk genügend Schub entwickeln konnte.
Die Starteinrichtung bestand in der finalen Ausführung im Wesentlichen aus den Hauptkomponenten Startkatapult, Anlass- und Kommandogerät sowie dem Dampferzeuger.

Die Firmen Rheinmetall-Borsig AG in Berlin und das Ingenieurbüro Hellmuth Walter (Walter KG) in Kiel entwickelten parallel Entwürfe und Prototypen für solche Startkatapulte. Die beiden Firmen verfolgten dabei unterschiedliche Verfahren zum Beschleunigen der rund 2'300 kg schweren Flugbombe.

Da die Firma Walter KG schon vor Kriegsbeginn an Startkatapulten für Flugzeuge und Torpedos arbeitete, hatte sie für Versuche am Südostende des Grossen Plöner Sees ein Versuchsgelände eingerichtet.
Auf diesem Gelände testete sie unter anderem mehrere Varianten von Startkatapulten für die Fi 103 (und die BV 143). Auf diesem Gelände wurden jedoch keine Flugbomben gestartet, sondern lediglich Lastkörper die das Gewicht der Fi 103 simulierten, in die Luft gebracht resp. in einen Sandwall geschleudert.
Die Firma Rheinmetall-Borsig AG begann ihrerseits mit Versuchen direkt in Peenemünde. Die Borsig-Varianten erwiesen sich jedoch als zu schwerfällig und nicht für den Feldeinsatz geeignet.

Die strittige Länge des Katapults

Anthony Young schreibt 1978 auf Seite 145 seines Buchs «The Flying Bomb» zum Katapult:
The launching ramp consisted of a firing tube assembly, usually of seven sections, giving a total length of 138ft. Some ramps, however, had only six sections, 118ft overall, and others eight, 158ft overall.
Young gibt in seinem Buch leider keine Quellen an.

Fakt ist:
· Es gibt längst keine originalen und gleichzeitig original aufgebauten und kompletten Walter-Schleudern mehr.
· Die Versuchsgelände Bosau und Peenemünde sind die einzigen Orte, wo kürzere Katapulte als 48 m (158 ft) in Frage kommen, denn
· Von den Versuchsgeländen Zempin, Blizna, Altenwalde und dem Stüh, sowie aus den Einsatzgebieten Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland gibt es keinen Beleg für Katapulte mit der Länge 42 m, oder gar nur 36 m.
· Eine historische Luftaufnahme von Bosau lässt keinen Zweifel daran, dass alle drei Walter-Rohrschleudern 48 m lang waren.
· Sämtliche überprüften Startstellungen – ausser in Peenemünde – haben 8 Einzelfundamente, wovon das erste manchmal an das Hauptfundament angebaut wurde. Allerdings belegt dies nicht, dass immer auch 8 Rampenelemente à 6 m aufgebaut waren oder aufgebaut werden sollten – wofür es aber ebenfalls keine Belege gibt … und dies auch keinen Sinn ergäbe.
· Die Standardlänge des Katapults war somit 48 m und nicht 42 m.
· Diese falsche Standardlänge von 42 m wurde in der Folge leider von mehreren Buchautoren und im Internet oft übernommen.
· Eine komplette Walter-Schleuder mit 48 m Länge wurde auf den originalen Fundamenten in der Einsatzstellung FSt 161 in Frankreich nachgebaut.

Die weitere Entwicklung der Startanlage ist im nachstehenden Abschnitt beschrieben.

Die drei wichtigsten Baugruppen der Starteinrichtung:

      

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Erprobung in Peenemünde-West

Haupt-Erprobungsgelände der Fi 103 waren Anlagen auf dem Gebiet von Peenemünde-West, später mit Erprobungsstelle der Luftwaffe Karlshagen, oder kurz E-Stelle Karlshagen bezeichnet. Diese Erprobung beinhaltete auch Weiterentwicklungen aller Komponenten, die ja bis zum Kriegsende noch nicht abgeschlossen waren.
Verteilt waren die Fi 103-spezifischen Anlagen mehr oder weniger über das gesamte Gelände von Peenemünde-West, konzentrierten sich aber auf den Bereich südlich des Flugfelds und natürlich auf den Schussplatz auf der Kleinen Strand-Wiese direkt an der See.

Vorab ein wichtiger Hinweis für Besucher von Peenemünde:
Einige Bereiche des Geländes der ehemaligen HVA sind nach wie vor wegen Munitionsbelastung Sperrgebiet und sollten deshalb nicht auf eigene Faust begangen werden. Zu den wichtigen Standorten wie dem Schussplatz der V1 gibt es geführte Besuchsmöglichkeiten (angeboten vom Museumsverein Peenemünde e.V.). Die Warnschilder sollte man deshalb unbedingt respektieren!
Ähnliches gilt für das Sammeln von Bernstein am Strand, wo es die Verwechslungsmöglichkeit mit dem gefährlichen Weissen Phosphor gibt – ebenfalls ein Relikt des Zweiten Weltkriegs. Auch hier bitte die entsprechenden Hinweisschilder beachten!

Vor der Besichtigung der Umgebung lohnt sich in jedem Fall ein Besuch des Historisch-Technischen Museums (HTM) in Peenemünde.

Schussplatz

Das als Schussplatz oder Strand-Wiese bezeichnete Gelände liegt am Nordende der Insel Usedom, direkt an der Küste. Damit hatte man von diesem Areal aus freie Flugrichtung zwischen Norden und Osten über offenes Meer. Ab August 1942 wurden dort insgesamt sechs Katapulte an fünf Standorten aufgebaut.
Zuerst ein paar Übersichtsfotos, um die Situation der Standorte P1 bis P5 zu verdeutlichen. Diese Bezeichnungen – P für Prüfstand – entsprechen den Bezeichnungen auf den alliierten Luftaufklärungsfotos.


      

 

Die Situation auf diesem Schussplatz mit den insgesamt sechs Katapulten barg und birgt einige bis dato nicht ganz geklärte Punkte. Mittels alliierter Luftaufnahmen, historischer Fotos der örtlichen Aktivitäten und Recherchen vor Ort gelang es jedoch 2017, ein plausibles Bild des Schussplatzes zu erhalten.

P1 und P2 – Borsig

Die erste dort installierte Schleuder (August 1942) war eine Borsig-Schleuder mit 5° Steigung, die auf starren Betonelementen aufgebaut war, auf denen Stahlschienen montiert wurden. Die Betonelemente lagen auf einem aufgeschütteten Erdwall, nur am Ende des rund 90 m langen Katapults war noch ein freitragendes, etwa 10 m messendes Stahlfachwerk angebaut. Die Orientierung dieser Schleuder betrug etwa 4° → P1 in der nebenstehenden Situationsanalyse.
Die Firma Rheinmetall-Borsig AG aus Berlin setzte auf das Prinzip eines mit Festbrennstoff angetriebenen Raketenschlittens, auf den die Fi 103 aufgesetzt wurde. Bei Erreichen der notwendigen Geschwindigkeit – nach 70 m – wurde der Raketenschlitten auf den restlichen 20 m Rampenlänge bis zum Stillstand abgebremst und das FZG 76 flog mit der Energie des Schlittens und des eigenen Triebwerks weiter.

Auf dieser Schleuder fand am 24. Dezember 1942 der erste Bodenstart eines kompletten Geräts statt (Zelle inkl. laufendem Schubrohr) und in der Folge die weiteren Startversuche. In dieser Zeit baute Borsig eine zweite, schwenkbare Schleuder (P2) auf einem Stahlfachwerk, immer noch mit dem raketengetriebenen Schlitten. Diese schwenkbare Schleuder hatte ihren Drehpunkt – entgegen Angaben in Publikationen – nicht am hinteren Ende, sondern bei etwa ⅘ der Katapultlänge. Dies lässt sich anhand von historischen Luftaufnahmen und der verbliebenen Bodenrelikte belegen. Geschätzte Länge der Rampe von P2: 70 m.
Vorhanden ist noch der Betonsockel des Schwenklagers dieser Schleuder sowie Merkmale des Schienenkreissegments mit einem Schwenkbereich von etwa 30°. Auf dieser Schiene wurde das hintere Ende der Schleuder mitsamt dem Schutzhaus gedreht.

Die Firma Walter KG aus Kiel machte indessen ihre Versuche mit Dampfantrieb auf dem firmeneigenen Versuchsgelände bei Bosau, am südlichen Ende des Grossen Plöner Sees. Es entstanden zwei unterschiedliche Bauweisen: eine aufbauend auf runden Stahlelementen (Typ 1), eine zweite auf rechteckigen Kastenelementen (Typ 2). Beiden war gemeinsam im Inneren ein oben geschlitztes Rohr, in dem ein Dampfdruck-getriebener Kolben die Flugbombe beschleunigen sollte. Und beide hatten den Dampferzeuger noch direkt an der Schleuder angebaut.

P3 … P5 – Walter

Es stellte sich heraus, dass das Borsig-Prinzip für einen feldmässigen Einsatz zu aufwendig war und Walter begann mit dem Aufbau einer schwenkbaren Rohrschleuder (P3) östlich der zweiten Borsig-Schleuder.
Die weiteren Startversuche konzentrierten sich nun auf diese Walter-Rohrschleuder vom Typ 1 mit einer D-förmigen Rampe (oben abgeflachtes Rundprofil). Diese Schleuder hatte als schwenkbare Variante eine Länge von 30 m. Diese Länge behielt sie vorerst auch in festgelegtem Zustand, wie das Aufklärungsfoto vom 28. November 1943 belegt, auf welchem die Britin Constance Babington Smith zum ersten Mal eine V1 identifizierte. Wie ein weiteres historisches Foto belegt, wurde dieses Katapult in der Folge mit weiteren Segmenten auf Pendelstützen verlängert, auf ca. 50 … 52 m. Die genaue Länge lässt sich nicht mehr eruieren, aber anhand des Fotos abschätzen..

Diese erste Walter-Rohrschleuder in Peenemünde wirft noch am meisten Fragen auf. Sie ist in Original-Filmausschnitten oft zu sehen, dies einerseits mit Pendelstützen auf Rädern und andererseits als feste Schleuder, im Startbereich in einer Erdaufschüttung eingelassen und mit Betonschutzwänden im Sockelbereich. Waren das zwei Schleudern, oder nur eine, die umgebaut wurde?
Etliches spricht für Letzteres. Da ist einmal der runde Geschützanker, der eine andere Orientierung hat (42°) als die in Erdreich festgelegte Schleuder mit 66°. Und es gibt auf dem Schussplatz heute nur einen runden Geschützanker, so wie er für den Typ 1 üblich war. Weshalb hätte man einen solchen Anker aus dem Betonfundament entfernen sollen, wo doch die übrigen Anker im/am Boden verblieben sind? Und im Erdwall von P3 finden sich Reste von Gelenken, wie sie zwischen den Pendelstützen und den runden Rampensegmenten dokumentiert sind. Mit diesen Gelenken konnte neben dem horizontalen Schwenkbereich von ±22,5° auch die Erhöhung zwischen 5° und 7,5° variiert werden.
Wieviele Katapulte vom Typ 1 Walter baute, konnte nicht eruiert werden. Belegt sind eines in Bosau und eines in Peenemünde. Ob das (später) in Altenwalde für die BV 143 eingesetzte Exemplar dasjenige von Bosau war oder ein zusätzliches, ist unklar.

In der Folge wurden ab Oktober 1942 die zweite (P4 mit Orientierung 61°) und die dritte Walter-Rohrschleuder 2,3 t (P5 mit Orientierung 68°) aufgebaut, beide Ausführungen nahe an der, oder schon wie die W.R. 2,3 die dann für den Feldeinsatz in Serie gebaut wurde.
Am Platz von P4 wurden nacheinander zwei Schleudern aufgebaut. Der Abstand der Pendelstützen beträgt bei der W.R. 2,3 6 m, hier findet man jedoch Pendelstützenanker im Abstand von 3 m und der Geschützanker steht auf auffälligen Zweitbetonierungen. Es ist also davon auszugehen, dass da zwei Schleudern nacheinander mit einem Längsversatz von 3 m errichtet wurden.
Eine mögliche Erklärung ist, dass die Schleuder hier vom angebauten Dampferzeuger auf den mobilen umgebaut wurde und man deshalb 3 m weiter vorn einen neuen Geschützanker mit den Leitschienen für Dampferzeuger und Zubringerwagen sowie dem modifizierten ersten Rampensegment errichtete und dann die Rampe um diese 3 m vorversetzte.
Auf den Pendelstützenfundamenten stehen auch wechselweise zwei unterschiedliche Ankerelemente. Somit handelt es sich bei dieser Schleuder um die sechste Ausführung eines Katapults auf dem Schussplatz.
Etwas ähnliches lässt sich übrigens in Zempin bei Feldstellung I erkennen.

Inzwischen liessen sich auch die Längen der beiden auf P4 errichteten Katapulte belegen: P4.1 hatte anhand des historischen Lehrfilms und einem Vergleich vor Ort mit den noch vorhanden Einzelfundamenten eine Länge von 42 m – obwohl im Film 48 m genannt werden. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass zwischen den Filmaufnahmen und der Veröffentlichung des Lehrfilms die Katapulte P5 und P4.2 aufgebaut worden waren.
P4.2 hingegen hatte anhand der Einzelfundamente eine Länge von 48 m.

P5 scheint die Schleuder zu sein, die man analog der «alten Bauart» erstellte. Man sieht noch die Fundamente der Schutzmauern und rechts des Geschützankers den höher angelegten Sockel für den Schwenkkran zum bewegen des FZG 76 vom Transportwagen auf die Schleuder. Es unterscheiden sich auch die Verankerungen der Pendelstützen gegenüber denen von P4.
Für P5 wurde ein Kommandostand aus Ziegelsteinen gebaut, der noch steht. Das Katapult auf P5 hatte anhand der Einzelfundamente eine Länge von 48 m.

Zu welchem Zeitpunkt eine mögliche Modifikation von P4 stattfand ist unklar. Logisch erscheint, dass dies nach dem Entscheid zum Bau von Stellungen «vereinfachter Bauart» geschah und man den ebenfalls modifizierten Schleuderaufbau testen wollte.

Eingangs des Schussplatzes ist noch die einfache Richtplatte zu sehen, vom hölzernen Richtbau selbst ist nichts mehr vorhanden. Um den Kompass einzuregeln baute man hier nur einen kleinen metallenen Vollkreis mit Winkelskala auf, dieser metallene Kreis hat einen Aussen-Ø von 206 cm und eine Skalenbreite von 6 cm.

Zwischen dem Richtbau und dem Schussplatz liegen rechts des Zufahrtswegs die gesprengten Reste eines Bunkers, vermutlich eine Wache. Und zwischen P3 und P4 liegen (ebenfalls gesprengt) die Reste des Befehlsstands. Die übrigen Bauten auf dem Schussplatz waren Holzbaracken, von denen nichts mehr vorhanden ist. Einzig die betonierten Wege und Flächen lassen noch bis heute die Struktur des Schussplatzes erkennen.

Galerie Schussplatz

                  

Andere Bereiche

Die Infrastruktur südlich des Flugfelds wurde nach dem Krieg weitgehend zerstört. Verblieben sind Gebäude, die von den Sowjets für den weiteren Betrieb des Flugplatzes genutzt werden konnten.
Einziger markanter Bau in diesem Bereich ist der Prüfstand 1/W7, ein zweigeschossiges Gebäude mit Satteldach in dem vorwiegend Standläufe des Triebwerks für die Fi 103 stattfanden, aber auch Flugzeugtriebwerke getestet wurden. Ein nicht mehr vorhandener kaminartiger Abzug sowie grosse Öffnungen in den Seitenwänden dienten der Abgasführung der zu erprobenden Triebwerke.

Zwischen diesem Bereich und dem Nordhafen gab es noch das Areal Vorwerk (benannt nach dem ehemals hier liegenden Landwirtschaftsgut) mit Testständen, betonierten Flächen und Gebäuden. Hier fanden verschiedenste Tests statt, nicht nur für das FZG 76, sondern auch für diverse andere Flugzeugentwicklungen.

      

Zu erwähnen ist, dass es da auch eine Kältekammer gab und sich hier vor Jahren gleich daneben im Bewuchs ein auf Holzschwellen montierter Geschützanker fand, mit eigenartiger Ausrichtung nach Südosten.
Eine Annahme ist, dass in der Kältekammer auch der Dampferzeuger bei tiefen Temperaturen getestet wurde, wozu man ihn an einen Rampentorso mit Herzstück ansetzen musste um zumindest «leere Schüsse» simulieren zu können. Dieser Geschützanker ist heute Teil der Ausstellung im Müggenhof (Museumsverein Peenemünde e.V.).

Im Zusammenhang mit den Tätigkeiten um das FZG 76 fanden sich hier und anderweitig noch einige Relikte, die sich aber nur zum Teil im HTM befinden.

Galerie regionale Bodenfunde

                  

Galerie diverse Fundorte (D und F)

            
      

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Erprobung und Ausbildung in Zempin

Während der weiterlaufenden Versuche in Peenemünde wurde am 6. Juni 1943 das Lehr- und Erprobungskommando Wachtel unter dem Kommando von Oberst Max Wachtel aufgestellt. Aufgabe dieser Einheit war es, Methoden für die Vorbereitung, Handhabung und den Start des FZG 76 im Feldeinsatz zu erarbeiten.
Dafür wurde ein Standort 15 km südöstlich von Peenemünde ausgewählt, ein wenig berührtes Waldstück zwischen den Ortschaften Zinnowitz und Zempin. Am 21. Juni begannen die Bauarbeiten mit der Errichtung eines Entladebereichs beim Bahnhof Zempin an der Eisenbahnstrecke Wolgast-Heringsdorf-Ducherow, der Mannschaftsunterkünfte und der Erschliessung der ersten Feldstellung inkl. deren Infrastruktur.

Im Laufe der kommenden Wochen entstanden insgesamt drei Feldstellungen mit Katapulten und deren notwendiger Infrastruktur für einen funktionierenden Feldeinsatz. Feldstellung I entsprach im Aufbau noch der «alten Bauart» der geplanten Feuerstellungen in Frankreich, Feldstellung II schon eher der «vereinfachten Bauart», allerdings noch mit einem Vorratslager in Skiform und einem Mannschaftsbunker. Feldstellung III wurde wahrscheinlich nie ganz ausgebaut.

Nicht alle der im Verlauf der nun folgenden Versuche in Zempin (aber auch Peenemünde) gestarteten FZG 76 folgten der vorgesehenen Flugbahn. So ist der Absturz eines Geräts am 22. August 1943 auf Bornholm (DK) bekannt und weitere Niedergänge auf schwedischem Territorium sind belegt.

Das ominöse (W)
Nach der Verlegung des Lehr- und Erprobungskommandos Wachtel nach Zempin wurde die Einheit in Flakregiment 155 (W) umbenannt. Über die Bedeutung des (W) gibt es verschiedene Versionen. In Originaldokumenten (BArch-MA Freiburg, Bestand RL12/728) wird das Lehr- und Erprobungskommando Wachtel mit L.u.E.-Kdo.(W) abgekürzt. Naheliegend also, dass das (W) in der Einheitsbezeichnung Flakregiment 155 (W) weiterhin für Wachtel stand.
Eine These besagt, Zitat: […] dass mit den im Januar 1944 durchgeführten Abwehr- und Tarnmaßnahmen, wie der Umbenennung von Oberst Max Wachtel in Oberst Martin Wolf das „(W)“ beim Flakregiment 155 (W) auch eine neue Bedeutung erhalten mußte: „Werfer“ bot sich hier natürlich an.

Feldstellung I

Das Gelände der Feldstellung I war einerseits von der Reichsstrasse 111 (heute B 111) über eine 6 m breite betonierte Strasse (den heutigen Campingweg) erschlossen und zum zweiten via Strandstrasse und Strandweg, die ebenfalls betoniert wurden, aber nur 2 m breit waren.
Zusätzlich wurde noch ein Weg, der etwa in halber Distanz zwischen B 111 und der Küste durch den Wald führt, mit Kohleschlacke befestigt – der Schwarze Weg. Entlang dieses Wegs zeugen noch heute erkennbare planierte Ausstellflächen davon, dass dort wohl Material und Fahrzeuge geparkt wurden.

FSt I lässt sich mangels Dokumenten und Bodenmerkmalen nicht mehr genau rekonstruieren. Kommt dazu, dass das Kerngebiet heute vom Campingplatz «Am Dünengelände» belegt und weite Bereiche durch dessen fixe oder lose Bauten bedeckt ist. Somit lässt sich die Gesamtstruktur nur noch anhand von historischen Luftbildern und sichtbaren Bodenrelikten interpretieren. Auch Luftbilder können in die Irre führen, verortet doch ein alliiertes Luftbild die FSt I östlich des Wegs der vom Camping-Eingang zum Strandweg führt. Dank Fotos aus den 1990er-Jahren und den verbliebenen Einzelfundamenten gibt es jedoch keine Zweifel am Standort des Katapults.
Der Plan versucht anhand der verbliebenen Merkmale etwas Ordnung in die Sache zu bringen. Zahlreiche betonierte Wege sind noch vorhanden und man erkennt auch diverse Sprengstellen, wo die Wege von den Sowjets nach dem Krieg zerstört wurden.

Beim Standort des Katapults lässt sich eine ähnliche Situation wie bei P4 in Peenemünde feststellen, es wurden wohl zwei Schleudern nacheinander um 3 m in der Achse verschoben aufgebaut. Wie bei P4 sind hier die Einzelfundamente im Abstand von 3 m vorhanden. Dazu kommt, dass zeitgenössische Fotos an dieser Stelle eine Walter Rohrschleuder Typ 2, jedoch mit seitlich am Katapult befestigtem Dampferzeuger zeigen und einen kleinen Portalkran mit dem die Flugbombe vom Transportwagen auf das Katapult gehoben wurde.
Bis in die 1990er war hier aber noch ein Geschützanker mit Schienen, wie sie für den Zubringerwagen und den mobilen Dampferzeuger nötig waren, vorhanden. Die Schienen fehlen auf den historischen Fotos. Also fand wohl auch hier ein Übergang zwischen den beiden Bauweisen zur finalen Schleuder W.R. 2,3 statt.

Die Position der Umsetzanlage kann nur vermutet werden, eventuell existierte sie hier in der späteren Form noch gar nicht. Das Richthaus wurde mit einem Sanitärkomplex (Waschhaus 3) überbaut, sichtbar ist nur noch ein Teil der – mit Beton gebauten – Winkelskala. Der Bereich von Montagehaus, Stofflager und D-Bau ist überbaut, nur wenige Segmente der Bodenmerkmale liegen frei.
Hier wurde auch ein erstes, verkürztes Vorratslager (Ski) errichtet, zumindest dessen Grundstrukturen wie der gekrümmte Eingang und die Führungsbankette für die Transportwagen TW 76, sowie Platz für drei Geräte. Mehr liessen die Platzverhältnisse nicht zu.

Die Zufahrt zum Erprobungs- und Übungsbereich erfolgte über eine Schleife. Der Weg stieg und steigt aber neben dem Frontbereich des Katapults auf kurze Strecke um 1,3 m an. Deshalb entstand am in diesem Bereich verbreiterten Strandweg eine Entladerampe, von der noch Reste vorhanden sind. An dieser Rampe konnten die Geräte von den LKWs auf die TW 76 umgeladen werden.
Allerdings bestand auch am hinteren Ende des verkürzten Vorratslagers eine Verbindung zum Strandweg, die aber noch steiler ist. Wie sich diese Verbindung mit der Anlage des Vorratslagers vertrug, lässt sich nicht mehr klären.

Der Bereich des Katapults ist stark verändert, entweder überbaut oder zubetoniert. Einzig beim Strandweg liegen noch umgestürzte Betonblöcke der Einzelfundamente für die Pendelstützen. Allerdings kann man noch einzelne Punkte von Pendelstützensockeln in den betonierten Flächen erkennen.

1990er-Fotos

Fotos der FSt I von 1993 und 1997, vor den Überbauungen.

            

Feldstellung II

Feldstellung II scheint ebenfalls noch vorwiegend Bauelemente der «alten Bauart» beinhaltet zu haben. Da sie in bis heute ungenutztem Gelände entstanden ist, wurde nichts überbaut. Allerdings war FSt II genau wie FSt I nach dem Krieg «Baumaterialquelle» und daher ist alles an Mauerwerk verschwunden und einiges ohne intensives Sondieren nicht mehr zu finden.

FSt II war durch einen betonierten Weg von der FSt I her erschlossen. Da sie hinter der grossen Düne lag, musste in diese eine Schneise gegraben werden und mit diesem Aushubmaterial wurde ein Damm für das Katapult aufgeschüttet.

Dort wo der Rad- und Wanderweg von Zempin nach Zinnowitz von Beton- in Naturweg übergeht, zweigt links die lange gerade zur FSt II ab, allerdings ist der Weg ab da komplett überwachsen. Und so ist es auch zum Teil mit den Wegen in der Stellung selbst. Dort wo die Wege sichtbar sind, weisen sie auch Sprenglücken auf.
Von den Bauwerken konnte nur ein Teil eindeutig lokalisiert werden, darunter ein Vorratslager in voller Baulänge, der D-Bau, das Montagehaus, das Richthaus, ein Mannschaftsunterstand und der Bereich des Katapults mit Haupt- und Einzelfundamenten. Arbeitsfläche, Vorratslager und mögliches Eingangslager lassen sich nur noch an Bodenveränderungen und mit den sowjetischen Nachkriegs-Luftaufnahmen eruieren. Stofflager, Kompressor- und Generatorbau sowie Wasserbecken konnten nicht lokalisiert werden.

Das Foto des D-Baus von 1993 und die Tatsache dass dieser 2019 schon wieder komplett überwachsen war, bewog uns im Frühjahr 2023 dem D-Bau der FSt II etwas «auf den Grund zu gehen».
Der D-Bau ist West-Ost orientiert, liegt an einer Wegkreuzung und er lässt die Ausführung wie in den Einsatzstellungen schon erahnen. Hinter dem Bau gibt es eine betonierte Fläche so breit wie der Bau und etwa 6 m tief. Diese Fläche wurde nur mit der Stahlspitze sondiert, aber nicht freigelegt.

   

Galerie

            

Feldstellung III

Wie man an den vorgängigen, ergänzten Luftaufnahmen der Feldstellungen I und II sehen kann, war die Feldstellung III nicht durch betonierte Wege erschlossen. Dazu kommt, dass da ein eigenartig kurzes Hauptfundament von lediglich 4,5 × 4,5 m vorhanden ist. Und obwohl eine Schneise und in der Düne ein Durchbruch erkennbar ist, gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Einzelfundamente und somit eine reguläre Startrampe vorhanden waren. Und der noch vorhandene Geschützanker ist nur mit der Hälfte der vorgesehenen Schrauben in einer eher rudimentären Betonierung befestigt.

Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass an dieser Feldstellung keine Zellen verschossen wurden, sondern eher nur Versuche mit Modifikationen am Katapult (auf lose verlegten Holzschwellen?), dem neu entwickelten Zubringerwagen und allenfalls Ballastkörpern gemacht wurden. Bekannt ist, dass der finale, an der Rampe anzuflanschende Dampferzeuger (Kinderwagen) bis in die Einsatzphase Fehlfunktionen zeigte und man womöglich an Feldstellung III noch längere Zeit Versuche mit verbesserten Versionen machte.

Bekannte zeitgenössische Fotos kann man den Feldstellungen I und II zuordnen, es gibt jedoch nur ein solches Foto, das Aktivitäten in der Feldstellung III zugeordnet wird – ein eindeutiger Nachweis dazu fehlt.

      

Transportübung

Um den Transport von Fluggeräten von den Hersteller-, respektive Vormontagewerken bis in die Einsatzräume in Nordfrankreich realitätsnah abzubilden, wurde vom 22. März  bis zum 3. April 1944 eine Transportübung durchgeführt. Diese Übung sollte auf einer ähnlich langen Strecke alle bei einem solchen Transport vorkommenden Ereignisse beinhalten und so Schwachstellen im Transportablauf, bei Material und bei den Mannschaften aufzeigen.
Dabei wurde auch für die einzelnen Aktivitäten der Zeitbedarf ermittelt.

Zu diesem Zweck wurden aus dem Montagewerk Cham in Cöslin (heute Koszalin) 81 Zellenattrappen durch die Industrie auf einen Zug verladen. Von Köslin ging die Fahrt über Bromberg (heute Bydgoszcz) und Tarthun nach Zempin. Der Streckenverlauf zwischen Köslin und Tarthun bei Magdeburg wird im Originaldokument nicht im Detail beschrieben und ist deshalb im aufgezeigten Streckenverlauf lediglich eine Annahme. Ab Tarthun bis Zempin sind die Zwischenstationen hingegen bekannt.
Die angenommene Strecke durchfährt nördlich von Bromberg auch den Bahnhof Lindenbusch (heute Wierzchucin), der Ende 1944, Anfang 1945 das Versuchsgelände Heidekraut bediente. Auf diesem fanden nach der Aufgabe von Heidelager die weiteren Versuchsstarts des Aggregat 4 statt.

In der Luft-Muna 1/II bei Bromberg wurden die 81 Zellenattrappen entladen, eingelagert, aufgerüstet und dann wieder verladen. Dazu wurden aus dem Bestand der Muna zusätzlich 9 funktionsfähige E-Zellen verladen. Von Bromberg ging die Fahrt zur Luft-Muna 5/VI in Tarthun, dort wurden die Zellen nur entladen und dann wieder verladen.

Über Egeln, Stassfurt, Magdeburg, Stendal, Wittenberge, Neustrelitz, Neubrandenburg, Pasewalk und Ducherow führte die Bahnfahrt nach Anklam. In Anklam wurde eine Streckenstörung angenommen und bei Nacht ein Umladen von 12 Zellen auf LKWs angeordnet. Ab da ging der übungsmässige Transport auf der Strasse bis Zempin.

Die 9 funktionsfähigen E-Zellen wurden anschliessend an diese Übung aus der Feldstellung II gestartet.

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Nachstehender Abschnitt ist in Arbeit 

Ausbildung in Brüsterort

Brüsterort, das heutige Majak, lag in Ostpreussen etwa 44 km nordwestlich von Königsberg an der Küste. Königsberg ist das heutige Kaliningrad in der gleichnamigen russischen Oblast.
Majak ist nach wie vor militärisches Sperrgebiet und nicht zugänglich.

Im Zuge des Aufbaus der Schulungsmöglichkeiten für das Ausbildungs- und Bedienungspersonal der künftigen Einsatzstellungen meinte man im August 1943, mit den Kapazitäten in Zempin nicht auszukommen. Deshalb und wegen des Luftangriffs auf Peenemünde forcierte man auf dem Gelände des dort schon zu Reichswehr-Zeiten vorhandenen Schiessplatzes den Aufbau von drei Startrampen als Ausweichstelle. Der Deckname für diese Anlagen war Windeck.

Wegen fehlender Erprobungsgeräte wurden durch die zu schulenden Offiziere und Mannschaften in Windeck jedoch nie Fi 103 gestartet, sondern lediglich die mit Beton gefüllten Ballastkörper.
Ab Beginn 1944 starteten alle Offiziere und Mannschaften ihre Lehrgänge in Windeck und verlegten später nach Zempin um dort die Ausbildung mit dem Starten von Fluggeräten (mit blinden Ladungen) abzuschliessen.

Galerie

       

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Erprobung Luftstarts ab Trägerflugzeug

Schon vor dem ersten Schleuderstart waren ja in Peenemünde Zellenversuche an Trägerflugzeugen gemacht worden. Der erste Luftstart einer V1 mit aktiviertem Argus-Triebwerk erfolgte am 10. Dezember 1942 ab einer Focke Wulf Fw 200 (Fi 103 V7).

Für den künftigen Einsatz wurden die Heinkel He 111 H-16, H-20 und H-22 gebaut resp. umgerüstet, die die Flugbombe dann unter dem rechten Flügel trugen.

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Scharferprobung in Blizna (Polen)

Für das Starten von Fi 103 mit scharfen Sprengköpfen wurde das auf dem SS-Truppenübungsplatz Heidelager bei Blizna liegende Gelände gewählt, auf dem schon seit dem 5. November 1943 Startversuche mit dem Aggregat 4 (V2) stattfanden und damit schon Infrastruktur vorhanden war.
Für diese Versuche waren zwei Startstellungen mit gleicher Flugrichtung und in einem parallelen Abstand von 116 Metern vorgesehen, die ein gemeinsames Richthaus nutzen sollten. Fertiggestellt wurde jedoch nur die südöstliche Stellung, von der aus alle Aktivitäten stattfanden. Für die nordwestliche Stellung wurden lediglich die Fundamente für das Katapult betoniert und der Kommandostand gebaut.

Die Erprobung erfolgte vom 14. bis 17. April 1944. Insgesamt wurden 30 Zellen mit scharfen Ladungen auf ein Zielgebiet etwa 50 km östlich von Lublin gestartet, die Soll-Flugstrecke betrug dabei 170,5 km.
Die Zellen waren per Bahn von der Luft-Muna 1/II Bromberg angeliefert worden.

Von diesen 30 Zellen stürzten 10 frühzeitig ab. 20 Zellen erreichten das Zielgebiet, wovon zwei dieses um 30 km überflogen. Die Frühabstürze detonierten nicht, einerseits weil die Zünder aus Zeitgründen noch nicht scharf gemacht waren oder weil bei Gleitfluglandungen der Gleitschalter des elektrischen Aufschlagzünders nicht funktionierte.

Alle 20 Zellen die das Zielgebiet erreichten detonierten ordnungsgemäss.

Auf einer alliierten Luftaufnahme (©) vom 4. Mai 1944 sieht man die je 8 Rampenelemente zerlegt am Boden liegen. Somit waren die Rampenelemente für beide Katapulte angeliefert worden. Die Katapulte scheinen zu diesem Zeitpunkt schon für den Abtransport bereit zu sein.

An den beiden nahe beieinander liegenden Startstellen in Blizna lässt sich gut vergleichen, wie sich lediglich vorbereiteten Stellungen von einsatzbereiten Katapulten unterscheiden: nämlich durch leere Betonfundamente oder eben einbetonierte Anker für die Pendelstützen resp. den Geschützanker.
Diese letzte Arbeiten wurden in den Einsatzstellungen jeweils erst kurz vor Montage des Katapults ausgeführt und diese wiederum erst kurz vor der Einsatzbereitschaft der Stellung, um den Tarnaufwand klein zu halten.

Auf dem Museumsgelände ist eine V1-Replik zu sehen, war aber 2023 ziemlich mit Gerümpel zugestellt.

Galerie

                        

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Erprobung in der Aussenstelle Altenwalde

Am 16. Februar 1945 begannen auf dem Truppenübungsplatz Altenwalde Versuche mit der reichweitengesteigerten Version F1 der Fi 103, diese dauerten bis im April 1945 an.
Damit wurden die Versuche mit diesen Versionen fortgesetzt, die mit den E-Zellen schon in Zempin begonnen hatten → siehe Transportübung.

Die für diese Versuche notwendige Startrampe wurde im Spätherbst 1944 mit einer Orientierung von 312° aufgebaut. Über dem Watt wurde die Flugrichtung mittels des Kontaktlaufwerks am Steuergerät auf den Kurs von 347° geändert.
Die Soll-Flugrichtung war entlang der dänischen Küste angelegt, damit die Versuche von dort aus überwacht werden konnten. Die Testreichweiten lagen bei 225 km und 340 km. In diesen Bereichen konnte der Abstieg von jeweils mehreren Stationen auf dem Festland verfolgt und vermessen werden.

Ein Report der Alliierten vom 10. September 1945 beschreibt die Situation in Altenwalde aufgrund von Befragungen deutscher Gefangener. Auf der dazugehörigen Zeichnung wird mehr als eine Startstelle erwähnt → Firing Sites.
Allerdings hatten auf demselben Gelände ebenfalls Startversuche mit der Blohm & Voss Gleitbombe  BV 143 auf einem schwenkbaren Walter-Katapult Typ 1 stattgefunden.

Einige dieser in Altenwalde gestarteten Fi 103 stürzten entlang der dänischen Küste auf dem Festland ab und sind auch dokumentiert.

Gemäss Botho Stüwe wurde die zentrale Stelle des im April 1945 von Peenemünde in diesen Raum verlegten Personals und Materials am Flugplatz Wesermünde (Weddewarden) als «E-Stelle Wesermünde» eingerichtet. Dieser Fliegerhorst lag in der bis heute gut sichtbaren kreisförmigen Gleisanlage, die nördlich an den Nordhafen anstösst. Einige der nordöstlich davon liegenden Gebäude, wie etwa die Werfthalle, sind noch vorhanden.
Und Stüwe erwähnt neben dem Aufbau der bekannten Schleuder auf dem ehemaligen Marineschiessplatz Altenwalde die Einrichtung eines weiteren Katapults im November 1944 in einem U-Boot-Bunker in Duhnen. Dazu fanden sich aber keine weiteren Belege oder Hinweise.
Andererseits erwähnt er die beiden nachgewiesenen Startstellen im Stüh, nahe des gleichnamigen Ersatzflughafens, mit keinem Wort.


Aussenstelle im Flögelner Stüh, zwei Startstellen

2018 stiessen ehrenamtliche Mitarbeiter der Denkmalpflege bei ihrer Suche nach Überbleibseln des Ersatzflughafens Im Stüh auf Bodenrelikte die sie vorerst nicht einordnen konnten. Einheimische berichteten auf Rückfragen über aufgebaute Startrampen und dass von diesen auch noch V1 gestartet worden wären.
Einmal mehr gab die Gerüchteküche mehr her als die Realität. Aber wie so oft beinhalteten auch diese Gerüchte einiges an Wahrheit.

Nach und nach barg man Einzelteile oder Baugruppen, die sich eindeutig der Fi 103 und deren Starteinrichtung zuordnen liessen. Und langsam schälte sich heraus, dass da wahrscheinlich ein Versuchsgelände für die V1 lag und dass dieses in Zusammenhang mit Altenwalde gestanden haben dürfte.
Wahrscheinlicher sollte im Flögelner Stüh aber noch eine Ausbildungsstelle des Flakregiments 155 (W) aufgebaut werden, nachdem Zempin ebenso wie Peenemünde hatte aufgegeben werden müssen. Dies würde die zwei parallel aufgebauten Katapulte erklären, die neben der Stellung in Altenwalde für Reichweitenversuche allein wenig Sinn ergeben.
Auf diese Art der Nutzung deuten auch Fragmente von gefundenen Dokumenten und Objekten hin, die einen Bezug zu Zempin und damit zur Ausbildung des Bedienungspersonals für das Starten der Flugbombe erkennen lassen.

Dass man keine Rumpfteile von Flugbomben fand und nur Sprengteile von Rampensegmenten lässt den Schluss zu, dass dieses Material entweder nach dem Krieg als Rohstoff weggebracht und verwertet wurde, oder in dieser Form im Flögelner Stüh noch nicht eingetroffen war.
Hinweise in Dokumenten deuten darauf hin, dass das vorgefundene Material von Peenemünde, den Gerhard-Fieseler-Werken und weiteren Produktionsstandorten hierher verbracht worden ist und es sich weitgehend um Komponenten und Ersatzteile für eine aufzubauende Versuchsstelle handelt. Dass diese Verlagerung noch nicht abgeschlossen war, daraufhin deutet auch, dass verschiedene Teile in grösseren (zerstörten) Stückzahlen vorlagen, andere wiederum komplett fehlten. Die Anlage kam aber wegen der schnell vorrückenden Alliierten nicht mehr zum Einsatz und das Material wurde in dem Zusammenhang wohl vergraben und/oder durch Sprengungen zerstört.
Im Gelände südlich der Strasse Im Seegen fanden sich noch Betonkerne eines Bumskopfs und eines inerten Lastraums.

Für beide gefundenen Startstellungen wurde eine Orientierung von 5760¯ (≙ 324°) gemessen. Somit sollten die Flugbomben wie in Altenwalde selbst wohl mit Winkelschuss gestartet werden.
Die Initial-Flugbahn führte nordöstlich des Scheinflugplatzes Midlum und südwestlich am Einsatzhafen Nordholz und der gleichnamigen Ortschaft vorbei. Notwendige Kursanpassung über dem Watt auf 347°.
Wäre die Stellung eher zu Schulungszwecken für das Bedienungspersonal gedacht gewesen, so hätte die initiale Flugbahn etwa 9 km nördlich an Helgoland vorbeigeführt.

Die Stellung SW lag ziemlich offen zutage, die Stellung NO allerdings hätte man ohne die vordersten, offen liegenden Einzelfundamente kaum bemerkt und gefunden. Das Hauptfundament lag hier unter 10 bis 40 cm Erdreich und Wurzelwerk und zudem unter einem Stapel zusammengetragener Äste, ähnlich die hinteren Einzelfundamente.
Die vereinfachten, kurzen Hauptfundamente beider Stellungen weisen kleine Unterschiede in der Bauweise auf; am südwestlichen wurden Anpassungen vorgenommen.

Für die Stellung NO mussten wegen des unebenen Geländes Erdbewegungen vorgenommen werden. Die Wege zu Richtbau und Hauptfundament liegen leicht vertieft, ebenso Richtbau und Hauptfundament. Aber weder diese Wege noch die Plattform des Richtbaus sind betoniert worden!

Allan Williams schreibt in seinem Buch Operation Crossbow (erstaunlicherweise im Kapitel The V2 Rocket):
[…] From photography taken during sortie 106G/4230 on 8 February 1945 the ground report identifying Altenwalde was confirmed, while another ground report the following month about two suspicious-looking square buildings at the nearby Emergency Landing Ground at Neuenwalde would similarly be confirmed by photography. […]

Wie aber ist nun der Widerspruch zu erklären, dass von den beiden Richtbauten keine Fundamente gefunden wurden? Die Richtplattform hat immerhin eine Grundfläche von 13 × 13 m. Zeigt das Foto nur die gerodeten und planierten Flächen? Ohne das erwähnte Luftbild analysieren zu können, bleibt diese Frage leider unbeantwortet.

Anhand der Bodenfunde – insbesondere der Betonfundamente für die Startrampen mit leeren Öffnungen für deren Verankerungen – lässt sich eindeutig sagen, dass am Standort im Flögelner Stüh keine aufgebauten Katapulte vorhanden und somit keine Schleuderstarts von Flugbomben möglich waren. Zeitzeugenaussagen wie «Teichmann erinnert sich genau daran, dass zumindest eine Abschussrampe für die Raketen [sic!] fertiggestellt wurde.» sind somit nicht belegbar.
Und es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass es sich bei der in der Zeichnung der Alliierten sichtbaren südlichen Startstellung um die sich im Aufbau befindliche Anlage der Aussenstelle im Flögelner Stüh handelt.

Die gefundenen Baugruppen und Einzelteile sind im Militärhistorischen Museum Alter Flakleitstand bei Nordenham-Grebswarden zu besichtigen.

Galerie Stellung SW

       

Galerie Stellung NO


      

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 Fi 103 Nachfolger bei den Alliierten

Die Weiterentwicklungen der Alliierten sind ein eigener Themenbereich, der nicht in meinem Fokus liegt. Deshalb sei hier nur eine kurze Übersicht der verschiedenen Projekte angefügt.

Schon während des Kriegs gelangten Informationen und Komponenten in die Hand der Alliierten. Sogar fast intakte Geräte gelangten in die USA, wo man an funktionalen Nachbauten arbeitete, um diese noch gegen Deutschland einsetzen zu können.

Nach Kriegsende profitierten die USA, Sowjetunion und Frankreich von den gewonnenen Erkenntnissen, diese nun in Eigenentwicklungen umzusetzen.

USA

Der zur Fi 103 fast identische Nachbau wurde als Republic-Ford JB-2 (USAAF) und KGW später LTV-N-2 «Loon» ( US Navy) bekannt. Im Oktober 1944 fanden erste Testflüge statt, das Gerät war in der Folge noch für den Einsatz gegen Japan vorgesehen. Im Januar 1945 wurden zwar erste Einheiten der Serienproduktion ausgeliefert, zum Einsatz kam die «Loon» jedoch nicht mehr und im September wurde die Produktion eingestellt.
Bekannte Versuchsstationen waren:
· Wendower Air Force Base: 40°41'53.67", -114°2'30.96"
· Holloman Air Force Base: 32°53'33.74", -106°7'24.26"
· Santa Rosa Island Range Complex: 30°23'57.44", -86°42'19.55" (zero length) und 30°23'54.21", -86°41'33.93"
· Eglin Air Force Auxiliary Field 1: 30°39'47.76", -86°20'44.10"
· Navy Pacific Test Center, Point Mugu: genaue Lage nicht bekannt

Der Erfolg der JB-2 bestand letztendlich darin, die Nachkriegsforschung stark zu beeinflussen und rasch zu Nachfolgemodellen zu führen, die, nach ähnlichem Prinzip gebaut, bis heute als Marschflugkörper im Einsatz sind.

Sowjetunion

Bei den Sowjets experimentierte das Team um Wladimir Nikolajewitsch Tschelomei ab Juni 1944 ebenfalls mit Nachbauten der Fi 103, die man anhand von den Briten erbeuteten und überstellten Geräten konstruierte. Ergänzt wurde das Ausgangsmaterial durch Baugruppen der Montagestrasse aus Nordhausen und aus deutschen Produktionsbetrieben im Osten, die den Sowjets beim Vormarsch in ihre Hände fielen. Der Nachbau wurde mit 10Ch (10Х) bezeichnet.

Zwischen 1945 und 1954 wurden verschiedene Varianten und Weiterentwicklungen erprobt (14Ch und 16Ch), diese blieben aber wegen ungenügender Treffergenauigkeit und Leistung der diversen Triebwerke ausserhalb einer realen Integration in das sowjetische Waffenarsenal. 1954 wurde das Projekt eingestellt.

Parallel zur 16Ch entwickelte das Büro von Artjom Iwanowitsch Mikojan 1947 die mit einem Strahltriebwerk angetriebene KS1, später als AS-1 benannte Luft-Schiff-Lenkwaffe (NATO-Codename Kennel). Indirekt also ebenfalls ein Fi 103-Nachfolger. Eine Kennel ist auf dem Flugplatz Peenemünde zu sehen.

Frankreich

Die französischen Ingenieure arbeiteten einerseits an einer eigenen Version der Fi 103 und andererseits an einem eigenen System ein solches Objekt in die Luft zu bringen.

Für das Startsystem baute man 1952 auf der Base aérienne 125 Istres-Le Tubé eine 3 km lange Schienenstrecke, auf der ein Raketenschlitten als Startplattform entlangfuhr. Auf diesem mit SE 1910 bezeichneten Träger wiederum sollte die französische Version einer V1 abheben. Diese als CT10 oder auch Arsenal Ars 5501 benannte Version war kleiner als die V1 und erinnert mit ihrem doppelten Seitenleitwerk  – in einer Version – stark an das Erfurt-Projekt aus dem die Fi 103 entstand. Bei einer anderen Version verzichtete man auf das Seitenleitwerk, stattdessen baute man in die Tragflächen Druckluftdüsen ein, mittels denen man die Richtung ändern konnte.

Die Teststrecke in Istres ist noch heute am Westrand des Flugplatzgeländes erkennbar. Allerdings wurden im weiteren Verlauf die Versuche mit einem mit zwei Starthilferaketen bestückten Schlitten auf kürzeren Katapulten ähnlich der Walter Rohrschleuder auf dem Versuchsgelände des Centre interarmées d'essais d'engins spéciaux bei Colomb-Béchar in Algerien fortgesetzt. Um die Versuchsgeräte wiederverwenden zu können, sollten sie an einem Fallschirm landen.
Deshalb verlagerte man die Versuche auf die Île du Levant, vor der südfranzösischen Küste östlich von Hyères. Die CT 10 wurde schwimmfähig gemacht und konnte so über dem Meer getestet und aus dem Wasser geborgen werden.

Die CT 10 kam letztendlich nicht als Angriffswaffe zum Einsatz sondern wurde als Ziel für die Fliegerabwehr und trainierende Jagdpiloten verwendet. Ironie des Schicksals, endete sie als das, was der erste Tarnname der Fi 103 vermitteln sollte: FZG 76, Flakzielgerät 76.

Eines der wenigen öffentlich zugängliche Exemplare einer CT 10 ist im Eingangsbereich des Overlord Museums in Colleville-sur-Mer (F) zu sehen. Allerdings wird es auf der Infotafel – oder wurde es zumindest bis 2017 –  trotz klar anderer Abmessungen und deutlich anderer Merkmale, als Fi 103 ausgewiesen!


Literatur, Quellen

siehe Übersicht

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